OStD. a.D. Richard Staberock

Nicht als „laudator temporis acti“ füge ich meinen Bericht der Jubiläumsschrift der Theodor-Mommsen-Schule bei, sondern als Schulmann, dem Gott die Gnade gegeben, auf drei Generationen zurückzublicken, der versucht, schulisches Wirken und Erleben in das große Zeitgeschehen einzufügen.

Es war keine „gute alte Zeit“ ! Ein verlorener Krieg lag hinter uns, der Zusammenbruch Deutschlands berührte unser aller Leben, auch die Gestaltung der Schulen. Vor uns stand die Aufgabe des Wiederaufbaus, eines Wiederaufbaus auf Trümmern.

Das Wort D a n k stehe an erster Stelle. Dank allen, die mit mir in dieser schweren Zeit um unsere Jugend gerungen haben!

Meine Amtsübernahme am 1. Oktober 1947 war kein Generationswechsel, keine Übergabe von Mann zu Mann, keine Routineangelegenheit. Es gab am 4. Oktober eine stegreifartige Einführung des neuen Direktors, ein inhaltvoller Hinweis des Bürgermeisters Dr. Bullerdieck, der 20 Jahre selbst Mathematiklehrer an der Oberschule war, auf die geistige und völkerversöhnende Aufgabe der Schule, meine Erwiderung mit dem Wort Wilhelms von Humboldt „Bilde dich selbst und wirke auf andere, durch das, was du bist“ als Bildungsleitziel. Und dann grüßten helle Kinderstimmen des von Herrn Alshuth geleiteten Schulchors freudig in die Zukunft hinein, uns allen Mut, Vertrauen und Kräfte weckend. Natürlich gab es auch ein Festessen. Insgesamt 6 Teilnehmer, meine Person und meine Tochter, die „schwarz“ aus Berlin über die von Russen besetzte Zonengrenze gekommen war, einbegriffen.

Das Menü: 2 Bratheringe, Kartoffeln (satt).

Mit Dankbarkeit denke ich noch heute an dies Festmahl zurück. Der Alltag konnte beginnen.

Mein erster hochoffizieller Besuch galt naturgemäß dem englischen Kommandanten. In Colonel Hydesmith fand ich einen Gentleman, die „Meldung“ wurde ein kameradschaftliches Gespräch.

Gewiß, die Schule war räumlich freigegeben. Aber ein normaler Schulbetrieb war nicht möglich. Finanzamt und Berufsschule hatten 7 Räume besetzt. Die Schule, einst für 350 Schüler geplant, sollte 1947 445 Jungen und Mädchen aufnehmen, ein Glück, die Schule war weiträumig, hatte viele Nebenräume. Physik- und Chemieräume, einschließlich ihrer Ubungs- und Vorbereitungsräume, dazu ein Kellerraum wurden regelrechte Klassenräume. Eine Wanderklasse“ wechselte von Stunde zu Stunde in die durch Turn- und Zeichenunterricht freiwerdenden Lücken. Der Auszug des Finanzamtes brachte ein wenig Luft. Der Wegfall der Sexten und Quinten mit dem Gesetz zur Einleitung der Schulreform vom 5. 3. 1948″ kam dem Raummangel zugute. Es wurde aber 1950 wieder rückgängig gemacht. Auch die Berufsschule erhielt eigene Räume. Die Oberschule hatte sie ihr besonders herzlich gewünscht. Die beiden Bodenkammern, von den Schülern „Sperlingslust“ und „Kuckucksheim“ getauft und als „Paradies“ betrachtet, um deren Ausbau die Schulleitung unermüdlich 1 ½ Jahre gerungen hatte, konnten im Juli 1953 (!) endlich als echte Klassenräume betrachtet werden. Sie hatten allen Polizei- und Sicherheitsvorschriften Hohn gesprochen. Das „Stormarner Tageblatt“ berichtete: „Endlich finden die Wanderklassen“, der Schrecken der Eltern, Lehrer und Schüler, ein festes Heim und gefährden nicht mehr Flure, Treppen und Schuldisziplin“.

Die Schülerzahl war 1953 auf 678 angestiegen. Das Kollegium mußte sich immer noch mit dem einfenstrigen Raum im 1. Stock neben der Treppe bescheiden. Im Jahre 1957 mußte aus Sicherheitsgründen ein völliger Umbau der Schule vorgenommen werden. Er gab ihr das heutige Gesicht. Im neuen Obergeschoß entstanden zusätzlich sechs Klassenräume und ein Musikraum. Wie eine „Akropolis“ blickte die Theodor-Mommsen-Schule mit ihrem blendend weißen Anstrich vom „Mährischen Berg“ weit in das Stormarner Land hinein. Dank den Stadtvätern!

Erste Konferenz 14. 10. 1947. Der Direktor teilt mit, daß als Heizmaterial nur 100 Zentner Koks zur Verfügung stehen. Tagesbedarf 10 Zentner! Erste „Energiekrise“! Selbsthilfe! Die Elternschaft ist bereit zu spenden. Ein Tip von einem wohlgesinnten Verwaltungsmann, Kohlen gäbe es für amtliche Räume, wenn sie direkt von der Zeche abgeholt werden könnten. Die Eltern spenden 1 893,60 RM. Ein Fuhrunternehmer wird angeheuert, und 600 Zentner Koks rollen. Die Schule war geheizt. Unser Vorgehen fand Nachahmung. Ein Rechnungsfehlbetrag von 30 RM wurde durch das Kollegium gedeckt!

Entscheidend wurde die Entwicklung in wirtschaftlicher, finanzieller und vor allem in moralischer Hinsicht durch die Währungsreform am 20. Juni 1948 zum Guten gewandt. Ein Ende hatte die Papiernot, Hefte waren nur zu erhalten gewesen bei Abgabe von Altpapier. Auch die Instandsetzung des Gebäudes schritt sichtlich voran. Da nicht mehr mit lnflationsgeld gezahlt wurde, wurde auch der Auftrag der „öffentlichen Hand“ wieder begehrt. Aber wir wollen nicht vergessen, daß auch in der Inflationszeit einige alte Oldesloer Firmen und Handwerker der Schule die Treue gehalten haben, ohne „Kompensationen“. Die mit der Währungsreform einsetzende bessere Ernährung wirkte sich vor allem auf die Kinder günstig aus. Die ärztliche Untersuchung stellte durchweg eine sichtbare Kräftigung der Kinder fest. Auch jetzt sei nicht vergessen, an die Schulspeisung zu erinnern und den S p e n d e r n zu danken. Die Mittel kamen überwiegend von Amerika, hier sehr viel von den Mennoniten. In Amerika wußte man, daß Menno S i m o n in Bad Oldesloe seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Am 1. Juli 1949 nahmen 330 Schüler an der Schulspeisung teil. Der Preis für eine Portion betrug 8 Pfennig. 1950 sank die Teilnehmerzahl schon auf 155 Schüler, ein Zeichen für das Ansteigen des Lebensstandards.

Nur noch wenige Anmerkungen im Rückspiegel, die keines Kommentars bedürfen. Wegen der häufigen Diebstähle an allen Schulen wurde verfügt, daß Schreibmaschinen unter sicheren Verschluß zu nehmen seien. In unserer Schule wurden gestohlen: Der Spiegel aus dem Lehrerzimmer, weiter Wasserhähne aus Messing. Aus dem Fußbodenbelag eines Raumes waren Linoleumteile ausgeschnitten als Sohlen für die Schuhe. Die Schuhnot war groß und hatte schon bei der amtsärztlichen Schuluntersuchung Sorge erregt. So gab es viel zu hüten. In unserem Hausmeister, Herrn Schnack, fand die Schule einen treuen Verwalter, den alle Schüler respektierten, den die Diebe fürchteten – Boxmeister! – und der manchen Schüler vor Dummheiten bewahrt hat, allen aber immer half. Als technischer Direktor“ lebt er in seiner Schülergeneration weiter. Der Stadt hat er viel Unkosten erspart. Ihm auch hier mein Dank! Frau Schnack betreute die Mädchen wie ihre eigenen Kinder in ihren eigenen Räumen. Dank auch ihr!

Das Großfest aller Oldesloer Schulen ist bis heute das Vogelschießen. Während des Krieges konnte es natürlich nicht stattfinden. Jetzt aber entstand in Eltern und Schulen der Wunsch, die alte Tradition wiederaufleben zu lassen. Das konnte nur mit höchster Genehmigung der Militärregierung geschehen. Die englische Kommission hatte nichts dagegen, aber Armbrustschießen, Pfeifer- und Trommlerchor seien nicht gestattet! Es gelang uns, die Engländer zu überzeugen, daß wir mit diesem Fest Großbritannien nicht zu gefährden gedächten. Es wurde genehmigt. Die Firma Heinrich Schnaars stiftete wie seit 1917, traditionsbewußt, bis heute beim Wiederaufleben des Festes 1948 für den König die Taschenuhr. Eine Spende der Mennoniten gewährte jedem Teilnehmer – es waren über 1000 – einen Teller Schokoladensuppe, ein Festmahl für die Kinder. Auf dem Markt erklang, von den Kapellen der Schulen getragen, das Schleswig-Holstein-Lied und dann von allen mitgesungen „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Eine Freude, daß dieser Brauch noch erhalten geblieben ist.

Situation der Lehrer

Die Stadt Bad Oldesloe hatte durch die Kriegsschäden, den großen Bombenangriff einen gewaltigen Nachholbedarf. Der Zwang der leeren Kassen mußte hingenommen werden. Die Beamten der Stadt, zu denen ja auch noch die Lehrer der Oberschule gehörten, erhielten anfangs ihr Gehalt in drei Dekaden, dann am 1. und 15. jeden Monats. Ein Teil von ihnen wohnte in den umliegenden Dörfern, Rohlfshagen, Klinken, Henstedt oder sonstwo in schlecht heizbaren Unterkünften. Der Weg zur Schule zu Fuß, in einigen Fällen mit dem Fahrrad. Die „Reeducation“, mit der die Amerikaner das Zeitalter des Friedens für alle Welt heraufzubeschwören suchten, intensivierte sich vor allem in den Schulen und bei den Lehrern. Sie wurden erst einmal aller ihrer verbürgten Rechte beraubt, ohne Gehalt natürlich. Eine Fragebogenaktion setzte ein, von der sich leichter schreiben läßt, als sie zu erleben. Sie traf auch die Oldesloer Schule hart. Als ich hier eintrat, unterrichteten die wenigen Lehrer nur mit Lehrauftrag. Keine Planstelle war fest besetzt. Das zu erreichen, mußte meine erste Aufgabe sein.

Bevor wir aber das „Reifezeugnis“ als bewährte und zuverlässige Demokraten erhielten, mußten wir noch manches über uns ergehen lassen. Die weltanschauliche Umwandlung trat in konkreter Form an uns alle heran. Alle bisher gebrauchten Lehrbücher kamen auf den Scheiterhaufen. Die Duldung nicht neu genehmigter Lehrbücher bei Schülern war mit Entlassung des Lehrers bedroht. Alle Büchereien der Schule wurden sorgfältig überprüft, ob sie Bücher militaristischen oder nationalsozialistischen Inhalts enthielten. Ich selbst, ich glaube auch alle anderen Kollegen in dieser Zeit, mußten die im Wortlaut beigefügte Verfügung unterschreiben:

Unterrichtslinien

1. Kein Lehrer darf in seinem Unterricht, gleichgültig welchen Stoff er behandelt, etwas bringen, das:

den Militarismus verherrlicht;

die Lehren des Nationalsozialismus zu propagieren, wieder zu beleben oder zu rechtfertigen versucht oder die Leistungen der nationalsozialistischen Führer preist;

den Beziehungen unter den Vereinten Nationen feindlich gegenübersteht oder diese zu trüben versucht;

die Methode begünstigt, Menschen auf Grund ihrer Rassen- und Religionszugehörigkeit unterschiedlich zu behandeln;

die Praxis des Krieges, der Mobilisierung oder Kriegsvorbereitungen erläutert, sei es auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Industrie, oder das Studium der Wehrgeographie fördert.

2. Leibeserziehung ist nicht so weit auszudehnen oder in einem Umfange beizubehalten, daß sie halbmilitärischen Übungen gleicht.

Ab Mai 1948 trafen sporadisch die ersten Lehrpläne ein.

Soll die Schule verkauft werden?

Die Währungsreform hatte der öffentlichen Hand überall, hier unserer Finanzkasse Bad Oldesloe, deutlich gemacht, daß Nullen, die man an eine Zahl anhängt, keinen Reichtum darstellen. Die Diktatur der leeren Kassen begann. Sie wurde von allen gesehen und verstanden. Es hieß also sparen. Die Schulen kosteten Geld. Der Direktor bemühte sich mit allen Kräften an der Seite der Stadtvertretung, das Land zu größerer Unterstützung zu bewegen, waren doch noch immer nicht die Planstellen voll besetzt. Herr Regierungsdirektor Möhlmann, Herren des Finanzministeriums vertrösteten und versprachen Hilfe. Da kam der Theaterdonner – anders kann ich diesen Vorgang nicht nennen. Die Stadtverwaltung kam unter Führung eines maßgeblichen Stadtrates zu der Überlegung, das zu erwartende Defizit von 100 000,- DM abzuwenden dadurch, daß man die Oberschule abschüttelte, Verkauf des Gebäudes, Umwandlung der städtischen Anstalt in eine Privatschule, Entlassung von Lehrkräften und noch mehr derartiger Heilmittel. In der Ratssitzung vom 30. Mai 1949 wurde eine Resolution eingebracht. Unruhe, Erregung ging durch die Eltern- schaft, deren Kinder die Opfer sein würden.

Auf Wunsch des Herrn Vorsitzenden des Elternbeirates nahm der Direktor in vollbesetzter Aula am 11. Juni 1949 Stellung zu den Gerüchten, Plänen und Ausführungen in der Ratssitzung vom 30. Mai und versicherte: daß ich wie bisher meine volle Kraft einsetzen werde, auf die Regierung einzuwirken, daß sie die Schule kräftig finanziell unterstützt“.

Das geschah. Die Wogen glätteten sich. Aus den Zeitungen verschwand die Schlagzeile: Stadt verkauft ihre Schule. Es wurde verhandelt. Am 4. April 1954 (1) teilte der Direktor amtlich mit, daß gemäß eines Vertrages zwischen der Stadt und dem Land das Kollegium mit Wirkung vom 1. April 1954 in den Landesdienst übernommen sei, die Stadt bleibe Unterhaltsträger für die sachlichen Aufwendungen!

Namensgebung

Das Jahr 1950 brachte der Schule einen großen Tag, das Fest des 75jährigen Bestehens und der Namensgebung T h e o d o r – M o m m s e n – S c h u l e. Die Anregung kam von unserem Kollegen Studienrat Dr. Klüver, der darauf aufmerksam machte, daß der große Historiker, zwar in Garding geboren, aber seit seinem dritten Lebensjahr in Bad Oldesloe beheimatet sei. Sofort einstimmiger Beschluß des Kollegiums, Antrag an Stadt und Landesregierung, und mit der Jubiläumsfeier am 25. März 1950 trägt die Schule den Namen des größten Gelehrten – hier ist der Superlativ erlaubt – Schleswig-Holsteins.

Für gute Schüler der Operprima wurde die Verteilung der Theodor-Mommsen-Prämie eingeführt. Das Fest wurde groß gefeiert, wie das heutige. Festschrift, Aufführung des Oratoriums „Die Jahreszeiten“ unter der Leitung von Herrn Alshuth in der übervoll besetzten Aula am 24. März.

Festkommers unter der Führung des V e s d o r o . Tanz für die Mittel- und Oberstufe und die Ehemaligen.

Es gab von dem Jahr 1950 ab in Bad Oldesloe einen Th e o d o r – M o m m s e n – T a g, Kulturtag und Freudentag, der als großes Schulerlebnis Eltern, Schüler und die Stadt verbinden sollte und auch zwei Jahrzehnte oder mehr verbunden hat.

Bald nach dem Theodor-Mommsen-Tag führte mich ein glücklicher Zufall zu Ernst Wolf Mommsen, Dr. jur. h. c., Staatssekretär a. D., und heute Vorsitzender des Vorstands der Krupp A. G., dem Enkel des großen Historikers. Ich gewann ihn mir selbst – und viel wichtiger – unserer Schule, die als einzige den Namen seines Großvaters trägt, zum Freunde.

Jahresberichte

Die Jahresberichte, die oft lobend erwähnt wurden, entsprangen nicht meinem Kopfe. Sie sind Pflicht und Tradition in allen preußischen Schulen und bestanden in Bad Oldesloe seit 1878 bis zum Zweiten Weltkrieg. Mein Verdienst, wenn man das überhaupt so nennen darf, ist das Wiederaufleben nach der Unterbrechung. Den amtlichen Schreibmaschinenbericht, der ja nach Einführung geordneter Lehrpläne jährlich dem Kultusministerium vorgelegt werden mußte, in Drucklegung zu bringen, war mein heißes Bemühen. Verbindung von Generation zu Generation, von Schule zu Schule, Zeugnis von der geistigen Arbeit unserer Theodor-Mommsen-Schule an der Heranbildung der Jugend sollte ihre Aufgabe sein und bleiben. Dazu natürlich Zahlen und Daten, eine Chronik, Lektüre, Aufsätze und Abiturthemen, alles findet der „Ehemalige“, jetzt Vater von Theodor-Mommsen-Schülern, und kann anhand der „schweren Aufgaben“ sein „Image“ vor dem Sohne aufblinken lassen. Aber die Auferstehung ging nicht so glatt. Wieder die opferbereiten Eltern! 1954/55 hatte ich es mit ihrer Hilfe geschafft. Die Jahresberichte blühten ohne Werbeanzeigen! Das hätte meiner Überzeugung nach ihren inhaltlichen Wert und ihr Ansehen stark herabgesetzt. Ich darf mit Dank an die Eltern betonen, daß wir zu den allerersten Schulen gehört haben, die die Jahresberichte im Druck herausbrachten und unentgeltlich an alle Schüler verteilten.

Beiträge der Schule zum kulturellen Leben der Stadt

Es gab festliche Höhepunkte in jedem Schuljahr, die die Leistung und den Kulturwillen der Theodor-Mommsen-Schule nach außen sichtbar machten, den Schülern mit der Freude eigenen schöpferischen Gestaltens ein großes Erlebnis wurden. Unsere Theater- aufführungen und Konzerte hatten Rang und Ansehen. Viele ragten über die üblichen Schulansprüche weit hinaus. Mit Frau Oberstudienrätin Redöhl (Frl. Schwindt ehemals) fand die Schule eine Meisterin und Künstlerin in der Regieleitung, begeisterte Spieler aus allen Klassen und begeisterte Hörer und Besucher. Die Theateraufführungen stellten kleine Gesamtkunstwerke dar, zumindest waren sie das Ergebnis schöpferischen Gestaltungswillens, denn hier war ein unermüdliches Team am Werke: Elfriede Redöhl als Regisseurin, Fritz Alshuth leitete nicht nur den musikalischen Teil, sondern schuf auch eigene Musik zu eigenen Aufführungen. Gerhard Schulte sorgte in enger Abstimmung mit den beiden anderen für Bühnenbild, Kostüme und Maske. Alles hatte Format, die „Antigene“ (Sophokles), Shakespeares „Sturm“ und Thornton Wildere „Unsere kleine Stadt“ (viermal aufgeführt) waren Höhepunkte. Der Jahresbericht 1957/58 bringt in Faksimile einen persönlichen Brief des Dichters Thornton Wilder an die Schulleitung aus Paris. Nicht vergessen werden kann die Eigenleistung der Aufführung des „Urfaust“ unter der Regie von Lothar Gerken, O II a, im Februar 1949. Acht Tage danach kam zufällig das Lübecker Theater zu uns nach Bad Oldesloe mit dem gleichen Stück. Wir konnten uns zum echten Vergleich stellen.

Vorträge der Lehrkräfte der Schule trugen dazu bei, die Lücke zu schließen, die durch den zeitweiligen Wegfall der Volkshochschularbeit in der Stadt entstanden war.

Folgende Übersicht gibt Zeugnis von der Vielseitigkeit der Beiträge, die die Schule zum kulturellen Leben der Stadt geleistet hat.

V o r t r ä g e: (Übersicht nicht vollständig)

1947

Oberstudiendirektor Staberock:

Das geistige Leben deutscher Kriegsgefangener in U.S.A. (Ein Erlebnisbericht)

Die Staatsidee des Freiherrn von Stein in ihrer Bedeutung für die Gegenwart.

1948

Studienrat Dr. Klüver:

Die Schleswigsche Frage, geschichtlich gesehen.

Studienrat Albrecht:

Was wissen wir von der Atombombe?

1949

Studienrätin Dr. Schledz:

Was sollen unsere Kinder lesen? (verbunden mit einer Buchausstellung der Oldesloer Buchhändler).

Studienrat Alshuth:

Strauß-Pfitzner-Abend.

1950

Oberstudiendirektor Staberock:

Die Bonner Grundrechte im Spiegel geistesgeschichtlicher Entwicklung.

Studienassessor Schmidt:

In Deutschland aussterbende Tierarten (mit Lichtbildern).

Oberschullehrer Schulte:

Wege zur modernen Malerei.

Theateraufführungen:

1947-1964

Frl. Schwindt (Redöhl) / Herr Alshuth / Herr Schulte:

Shakespeares Othello, Sophokles Antigone, Urfaust (Schüler- regisseur Lothar Gerken), Raub der Sabinerinnen von Paul und Franz Schönthan, Shakespeares Sturm (viermal), Unsere kleine Stadt (viermal), Sommernachtstraum (viermal), Des Königs Schatten von Bernd von Heiseler (viermal).

1956-1962

Herr Hartmann / Herr Kunau / Frau Bohnstedt:

Herr Peter Squentz von Gryphius, Herr Korbes von K. B. und O. Kalina mit Musik von Fritz Alshuth (zweimal).

1967-1970

Herr Gerstenkorn: Der Zerrissene von Nestroy, Die Irre von Chaillot von Giraudoux (dreimal), Der gestiefelte Kater von Tieck (zweimal), Leonce und Lena von Büchner (dreimal).

Musikalische Veranstaltungen:

unter Leitung von Fritz Alshuth seit 1969 in Zusammenarbeit mit Bruno Brückmann:

Die Jahreszeiten (fünfmal), Mattäus-Passion, Der Messias (zweimal), Ein deutsches Requiem, Das Alexanderfest, Samsen (zweimal), Die Schöpfung (dreimal), Elias (zweimal), Acis und Galatea (viermal), Schicksalslied (dreimal), Carmina burana (dreimal), Das Lied von der Glocke.

Wanderungen, Fahrten, Reisen Heimat – Deutschland – Ferne

Alles war im Wandel, auch die Schulausflüge. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es nur einen großen Tagesausflug für die ganze Schule im Jahr. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde laut Verfügung ein monatlicher Wandertag zur Pflicht gemacht. Die Kinder sollten aus dem engen Klassenzimmer in die Natur hinaus, miteinander Gleiches erleben, die engere und weitere Heimat kennenlernen und mit ihren Beinen wirklich erwandern. So lernten auch die Flüchtlingskinder ihre neue schöne holsteinische Heimat kennen. Neu war auch der jährliche Besuch des Landesschulheimes Nehmten am Plöner See, wo die Quarten acht Tage lang im Freien, im Wald und am Wasser, ihre Schulstunden“ erlebten.

Der Erziehung zur Demokratie dienten Besuche der Landtags- sitzungen in Kiel, wo z. B. 1957 drei echte Oldesloer unsere Diskussionspartner waren: Landrat a. D. Siegel, Heinrich Wolgast und unser ehemaliger Schüler Gerhard Stoltenberg, der ein Jahr später als junger Bundestagsabgeordneter die Festrede an unserem Theodor-Mommsen-Tag hielt: „Unser Staatsbewußtsein – Tradition und Neuanfang“. Er betonte in seinem Vortrag, wie sehr die stärksten Kräfte unserer Zeit auf internationale Zusammenarbeit drängten – ein Thema, das mir seit meinen Erfahrungen in amerikanischer Kriegsgefangenschaft am Herzen liegt.

In die weitere Ferne, von den Alpen bis zum Rhein, zur Schaum- burg im Weserbergland, der Heimat unseres Wappens, des Nesselblattes, führten die Klassenfahrten der Abschlußklassen.

Die erste Auslandsreise der Schule war eine ltalienfahrt. Was lag näher als nach der Übernahme des Namens Theodor Mommsen als Patron auch einmal geistig auf seinen Spuren wandeln zu wollen?

Die beiden Oberprimen des Jahrgangs 1954/55 waren Feuer und Flamme, und Studienrat Schlegel bereitete die Reise geradezu generalstabsmäßig vor. Italienischer Unterricht wurde von Herrn Oberstudiendirektor a. D., seinerzeit Oberstudienrat, Dr. Ziemann gegeben, eine Arbeitsgemeinschaft für Kunstgeschichte leitete der Direktor, Vorträge, auch von dem Lübecker Seminar, Briefwechsel mit italienischen Schülern sorgten dafür, daß ein geistiger Boden dessen, was wir in uns aufnehmen wollten, wohlvorbereitet seiner Saat harrte. Während Vertreter der Stadt damals unsere Reise als unerhörte Extravaganz anprangerten, schrieb mir einer der Schüler, die an der Studienfahrt teilnahmen, Dr. Ing. Peter Ehmke, 20 Jahre danach:

„Heute … sind die damals so sachkundig und begeisternd vermittelten kulturgeschichtlichen Eindrücke für mich noch immer gravierende Mosaiksteine im Orientierungsrahmen der allgemeinen Betrachtungsweise und der beruflichen Argumentation.“

Die Verkrampfung der Völker lockerte sich, sichtbar im Austausch von Schülern und Lehrern. Die Theodor-Mommsen-Schule konnte 1953 die erste Schülerin in die USA schicken. Im gleichen Jahr ging der einstige Schüler unserer Anstalt, Dr. Günther Marquardt, als Austauschlehrer nach Amerika.

Im Winterhalbjahr 1955/56 kam als Austauschassistentin Miss Dyer aus England, ein weiterer Beweis geistiger Annäherung der Völker.

Aus dem Unterricht

Bei dem Bericht über unser geistiges Schulleben darf ich nicht darüber hinweggehen, daß es außer Feiern, Aufführungen und Reisen auch noch Lehrstoffe gab!

Alle Fächer tragen zur Bildung der Schüler bei, nicht alle können hier im einzelnen genannt werden. Das bedeutet aber wahrlich keine rangwertige Rückstellung. Etwas wirklich Neues ging aber von unserer Schule im mathematischen Unterricht aus. Ein Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel von 1953: Die Theodor-Momrnsen-Schule – Schrittmacher auf neuer mathematischer Bahn .

– das neue Lehrbuch, das in der Theodor-Mommsen-Schule in Bad Oldesloe erprobt und von Studienrat Albrecht gestaltet worden ist, eben erschienen unter dem Titel: R e i d t – W o l f f, „Die Elemente der Mathematik, Bd. 2 Geometrie und Trigonometrie. Verlage: Schöningh – Paderborn, -& Schroedel, Hannover“.

Unter den Fachleuten hat das neue Buch eine hervorragende Würdigung gefunden, die wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten können. Hier ein Auszug aus dem offiziellen Gutachten von Professor Otto B o t s c h, Karlsruhe (Az. U III 6601):

„Das vorgelegte Buch überragt bei weitem die dem Ref. bisher zur Besprechung überwiesenen Unterrichtswerke. Entgegen der heute noch immer den Geometrie-Unterricht beherrschenden Euklidschen Methode macht der Verfasser Ernst mit der Verwirklichung der Kleinschen Forderungen von 1872 und 1904 und des Meraner Programms (1905). Daß 80 Jahre verstreichen mußten, bis ein solches Geometriebuch vorgelegt werden konnte, zeigt, wie schwer es ist, die Tradition zweier Jahrtausende zu überwinden (sie kommen auch in diesem Buch durchaus zu ihrem Recht), wohl aber die Starrheit, Nüchternheit, Beziehungslosigkeit und systematische Willkür der bisherigen Lehrsatz-Geometrie“. Daß die Grundgedanken der Abbildung und Verwandtschaft imstande sind, aus einem Wirrwarr ein organisches Ganzes zu machen, dafür scheint uns das vorliegende Werk den überzeugenden Beweis zu liefern. Auch die Verknüpfung von ebener und räumlicher Geometrie ist in glücklicher Weise vollzogen“.

Alle übrigen Verlage mußten sich angleichen, nicht immer zu ihrer Freude. Diese Umwandlung in der Darbietung des geometrischen Stoffes vollzog sich meines Wissens in allen Schulen.

Mein Dank und der vieler seiner Schüler folgt Herrn Albrecht bis in das Grab († 1973).

Jahresarbeiten

Eins brachte ich noch aus meiner Berlin-Erfahrung mit und konnte es hier dank der Tatkraft einer ganzen Reihe von Kollegen zu voller Entfaltung bringen, die Jahresarbeiten der Primaner. Zu bemerken aber ist, daß diese Arbeit zusätzlich, freiwillig ohne Anrechnung für eine Abiturientenarbeit übernommen wurde. Dasselbe galt für die Lehrer. Für das Niveau dieser Arbeiten spricht die Tatsache, daß z. B. das bereits erwähnte Mathematikbuch aus den von diesem Lehrer veranlaßten Jahresarbeiten erwuchs. Und nicht zufällig haben einige der Autoren der hier als Beispiele aufgeführten Jahresarbeiten inzwischen Rang und Namen.

Dank und Ausblick

„Wenn hier um diese Eiche herum Blumen blühen, wird man Ihren Namen mit Anerkennung nennen“, sagte der Stadtdirektor im September 1947 zu mir, als wir beide vor dem Schulgebäude standen. Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „Nur wenn es mir gelingt, der Schule wieder ein geistiges Gesicht, ja vielleicht ein eigenes zu schaffen“. Bei meinem Streben standen mir treu zur Seite Oberstudiendirektor Dr. Ziemann und Georg Schlegel als unermüdliche Oberstudienräte, die in der Führung der Verwaltung Meister waren und meine Arbeit sehr erleichterten. Damals gab es nur einen Oberstudienrat an der Schule, der zugleich stellvertretender Direktor war. Auch den tüchtigen Sekretärinnen sei an dieser Stelle gedankt. Was ihre Mitarbeit bedeutet, ist mir erst zum Bewußtsein gekommen, als ich als „Ruheständler“ alles selbst schreiben, ablegen und wieder auffinden mußte! Ja, es war manches vorangeschritten, und die Schule war Mitgestalterin, unserer kleine Stadt war Kreisstadt geworden. Die Stadt hatte die Schule als Theodor-Mommsen-Schule wieder in ihr Herz geschlossen und nahm Anteil an ihrem Leben und Streben. Es war ihre Schule, die Ansehen gewonnen hatte. Die Konzerte und Feste waren Feste der Stadt selbst.
Zu meiner Verabschiedung schrieb unsere Zeitung, der scheidende Direktor hätte eine schwere Zeit durchmachen müssen. Gewiß, aber eine Zeit, der ich jetzt doch als „laudator temporis acti“ gedenke. Was kann es denn Herrlicheres geben für einen Mann in einer Zeit, in der seine Kräfte gebraucht werden, zu wirken und zu erleben, daß jede schwere Entscheidung einen kleinen Schritt nach vorwärts bedeutet. Noch einmal würde ich Schulmeister werden!
Mein Glaube an die Jugend ist mir geblieben, und ich gebe ihn weiter an meine Nachfolger. Darum mein Schlußwort, wie in der Jubiläumsschrift bei der Namensübernahme:
„Fürchte dich nicht, glaube nur“.